Welche gesellschafts- und gesundheitspolitischen Folgen hat die Neue Zwei-Klassen-Medizin, die die ländliche Versorgung opfert zugunsten vermeintlicher Qualitäts- und Kostensynergien?
Zum Hintergrund: Mit dem Krankenhausstrukturgesetz aus 12/2015 wird der (nach wie vor gesetzlich undefinierte) Begriff der “Qualität” in die Krankenhausfinanzierung eingeführt. Mangelnde Qualität wird mit Preiskürzung oder Krankenhausschließung bestraft.
Eine Art der Qualitätsdefinition wird im Gesundheitswesen bereits breit akzeptiert, obwohl sich in der Literatur wie auch in der aktuellen Studie der Bertelsmannstiftung kein statistischer Beweis für die Richtigkeit der These findet (evidenzbasierte Beobachtungen werden als hinreichende Bedingung angeführt) : je öfter eine Behandlung/Operation durchgeführt wird, desto besser ist deren Qualität.
Aus dieser Korrelation wird dann abgeleitet: Krankenhäuser müssen sich spezialisieren, Krankenhäuser auf dem Land ohne Spezialisierung müssen schließen, Krankenhäuser müssen mindestens eine definierte Anzahl von Operation erbringen, Krankenhäuser unterhalb dieser Mindestmenge dürfen die Leistung überhaupt nicht erbringen.
Was könnte passieren? Die Konzentration von Krankenhäusern wird zunehmen, Krankenhäuser auf dem Land werden noch häufiger als jetzt unrentabel und schließen, die Flächenversorgung ist nicht mehr gegeben, wohnortnahe Versorgung entfällt in vielen Gebieten Deutschlands.
Damit haben wir keine “gleichwertigen Lebensverhältnisse” mehr gem. Art. 72 GG.
Menschen in ländlichen Gebieten müssen weite Wege auf sich nehmen, um das nächste Krankenhaus zu erreichen.
Was, wenn kein Auto zur Verfügung steht oder aufgrund des Alters eine Wegstrecke nicht mehr zu bewältigen ist?
Was, wenn in diesen Gebieten auch bereits die Zugstrecke eingestellt wurde und der Bus nur zweimal am Tag fährt?
Was, wenn Angehörigen, deren Besuch massiv zur Heilung beiträgt, nicht mehr regelmäßig kurz vorbeischauen können, weil das Krankenhaus zu weit entfernt liegt?
Was, wenn die weite Entfernung eine Patientin zwingt, einem geplantem Kaiserschnitt zuzustimmen, weil der Weg eine natürliche Geburt nicht zulässt?
Was, wenn nach der Entlassung die Nachsorge nicht geregelt ist, weil weder ein Hausarzt in der Nähe praktiziert noch der Weg ins Krankenhaus möglich ist?
Was, wenn der Rettungsdienst erst innerhalb von 17 Minuten statt in 5 Minuten an der Unfallstelle eintrifft, wo die Überlebenschancen mit jeder Minute sinken?
All diese Fragen kennt ein Patient im Ballungsgebiet nicht.
Er wählt ein Krankenhaus. Er erreicht es innerhalb von Minuten. Seine Angehörigen kommen täglich kurz vorbei. Nach der Entlassung geht er fußläufig zur Nachsorge.
Es entsteht eine zwei-Klassenmedizin: sage mir, wo Du wohnst und ich sage Dir, welche Überlebenschancen Du hast!
Wollen wir in Deutschland wirklich eine solche Versorgungsstruktur ausbauen? Wollen wir wirklich in weniger dicht besiedelten Gebieten nach der öffentlichen Nahversorgung und der Lebensmittelversorgung, der Bildungsversorgung nun auch noch die Gesundheitsversorgung kappen? Wollen wir wirklich Deutschland in zwei Teile teilen?
Gesundheitsversorgung ist ein öffentliches Gut, für dessen gleichverteiltes Angebot der Staat Sorge zu tragen hat. Möchte er sich daraus zurückziehen, dann sollte das transparent durch ein neues gesundheitspolitisches Konzept erfolgen und nicht still durch die Hintertür auf Kosten der Patienten.